Tausende über die Wohnungssituation wütende Bürger machen einen Aufstand
In der frühen Gründerzeit ab 1871 brachen im Kaiserreich vor allem wegen der Wohnungssituation mindestens zwanzigmal Unruhen in deutschen Städten aus. Besonders kritisch war die Lage in der neuen Reichshauptstadt: Wegen des Wirtschaftsbooms hatte Berlin mit seinen über 800 000 Einwohnern einen jährlichen Zuwachs von teils mehreren 10 000 Menschen zu verkraften. Der Wohnungsbau konnte damit nicht Schritt halten, es herrschte extreme Wohnungsnot. Die Neuankömmlinge errichteten oft slumartige Hüttenquartiere, die dann wieder beseitigt wurden. Mietverträge wurden oft nur für Monate abgeschlossen, um Mieten leichter erhöhen zu können. Mieter reduzierten ihre Kosten durch das Untervermieten von Betten nur für mehrere Stunden an sogenannte „Schlafgänger“. Wurden Mieter auf die Straße gesetzt, blieb ihnen oft nur der Gang in das städtische Arbeitshaus am Alexanderplatz.
Am 25. Juli 1872 brach in der Blumenstraße im Osten Berlins ein Streit um einen vom Vermieter behaupteten und vom Mieter bestrittenen Mietrückstand aus. Der Mieter, ein Handwerker, beschwerte sich lauthals über die durch einen Gerichtsvollzieher angeordnete Zwangsräumung. Als die Feuerwehr die auf der Straße stehenden Möbel des Mannes wegbringen sollte, solidarisierten sich zahlreiche Schaulustige mit ihm. Der Lärm lockte weitere Nachbarn und Passanten an. Die Menge warf zunächst die Fensterscheiben des Vermieters ein. Als die Polizei anrückte, hatten sich bereits Tausende zusammengerottet, sie bewarfen die Ordnungshüter mit Pflastersteinen und begannen Barrikaden zu bauen. Die Straßenschlachten setzten sich in den folgenden Tagen im gesamten Viertel fort. Dabei wurde die Wut der Aufständischen durch das Niederreißen einer nahen illegalen Barackensiedlung nochmals angefacht, zumal dabei Habseligkeiten der Bewohner mit zerstört wurden. Nachdem sogar ein Militäreinsatz erwogen wurde, beruhigte sich die Lage am vierten Tag, weil sich die Polizei zurückgezogen hatte. Wahrscheinlich wurden insgesamt erheblich mehr Beteiligte verletzt als die offiziell angegebenen 159 Aufständischen und 102 Polizisten. 85 der Aufrührer wurden anschließend zu teils mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

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