Kurz nach Errichtung der Mauer gelang eine der spektakulärsten DDR-Fluchten
Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 weigerte sich der Lokomotivführer Harry Deterling, seine Zustimmung zur Abriegelung West-Berlins schriftlich zu versichern. Als man ihm darauf mit der Entlassung drohte, begann er gemeinsam mit einem befreundeten Heizer Pläne zur Flucht zu schmieden. Die beiden verfolgten bald die Idee, eine Dampflokomotive für das Unternehmen zu nutzen. Deterling wusste, dass der an der Grenze zwischen Potsdam und Berlin-Spandau in seinem Arbeitsgebiet liegende Bahnhof Albrechtshof noch nicht wie andere mit technischen Sicherungen ausgerüstet war. Er meldete sich freiwillig zu Zusatzschichten und schaffte es, auf der Strecke nach Albrechtshof eingesetzt zu werden. Als er erfuhr, dass der Bereich um den Bahnhof gesperrt werden sollte, meldete er sich umgehend für eine weitere Sonderschicht. Am 5. Dezember 1962 übernahm er den für Albrechtshof bestimmten Zug, gab dessen Heizer frei, sodass sein Freund die Aufgabe übernehmen konnte, und machte die Notbremse funktionsuntüchtig. Während der Fahrt stiegen nach vorheriger Absprache auf verschiedenen Bahnhöfen zwei Dutzend weitere Fluchtwillige zu.
Als sich der Zug dem Grenzbahnhof näherte, beschleunigte Deterling auf Höchstgeschwindigkeit und missachtete das Haltesignal. Während der nicht eingeweihte Zugführer erfolglos die Notbremse zog, legten sich die Flüchtlinge auf den Boden, um nicht von Schüssen der Grenzbeamten getroffen zu werden. Diese waren jedoch von der Durchfahrt vollkommen überrascht und ließen den Zug passieren. Die Lokomotive durchbrach das Gittertor am Grenzzaun und wurde von Deterling einige hundert Meter weiter zum Stehen gebracht. Dort nutzten neben den eingeweihten Flüchtlingen noch weitere Personen die Gelegenheit, im Westen zu bleiben. Andere liefen mit dem Zugführer wieder in die DDR zurück. Dorthin wurde auch der Zug gefahren, anschließend wurden die Schienen abmontiert. Die Flüchtlinge kamen zunächst im West-Berliner Notaufnahmelager Marienfelde unter. Der eigenen Bevölkerung gegenüber versuchte die DDR die Fluchtaktion als „verbrecherischen Anschlag“ auf einen Fernzug zu verkaufen, der später durch Albrechtshof hätte fahren sollen.
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